Urahnen der E-Scooter: Per Autoped und Krupp-Roller durch die Stadt (2024)

Per "Teufelsgefährt" durch die StadtUrahn der E-Scooter floppte schon vor 100 Jahren

Beliebt bei Gangstern, Postboten, Suffragetten: Mit Tempo 30 knatterten erste Stehroller schon 1915 über die Straßen. In Deutschland war's ein klobiges Klappmodell von Krupp - mit Merkel-Motor.

VonKatja Iken

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Urahnen der E-Scooter: Per Autoped und Krupp-Roller durch die Stadt (1)

Am sinnlichsten verhohnepiepelten die Franzosen das neue Gadget aus Übersee: Eine Zeichnung von 1921 in der französischen Erotikzeitschrift "La Vie Parisienne" zeigt eine schmale Schönheit auf einem Roller. Frohgemut klammert sie sich an den Lenker, das Kleid flattert im Fahrtwind. Vor ihr auf dem Trittbrett sitzt ein splitternacktes Wesen mit Blumen im Haar und Flügeln auf dem Rücken.

"L'amour est mon moteur", steht unter der Zeichnung, "die Liebe ist mein Motor". Amor als Antriebskraft? Das galt zwar für die Leser von Herrenmagazinen - aber nicht für den Roller: Ein schnöder Einzylinder-Viertaktmotor, entwickelt vom deutschstämmigen Tüftler Joseph F. Merkel, brachte das Gefährt auf Touren.

Zwei Räder, dazwischen ein Trittbrett mit Lenkstange und fertig war das Autoped - Urahn des modernen E-Scooters. Um 1915 brachte die New Yorker Firma Autoped Company of Long Island City ihren (freilich benzinbetriebenen) Roller auf den Markt. E-Mobile standen zu Beginn des Jahrhunderts zwar höher im Kurs als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor - doch waren die erforderlichen Akkus für einen Scooter damals noch zu schwer und sperrig.

"Arglist eines Aals"

Euphorisch priesen die Hersteller ihr "Motor-Vehikel für Millionen" als Lösung sämtlicher Transportprobleme: Das gut 30 Stundenkilometer schnelle Autoped mit 1,5 PS sei das "ideale Kurzstreckenfahrzeug", um Arbeitnehmer zum Job zu bringen. Oder Hausfrauen zum Einkaufen, Ärzte zum täglichen Hausbesuch, Kinder zur Schule, Händler zum Kunden.

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Fotostrecke

Historische Scooter: "In Zukunft muss niemand mehr laufen"

Foto: Alfred Gross/ ullstein bild

"Alle werden sich am Komfort und Genuss von Autopeding erfreuen", lautete das Werbeversprechen. US-Flugpionierin Amelia Earhart promotete den Roller in Zeitungsannoncen gar mit dem Slogan: "In Zukunft muss niemand mehr laufen."

In New York und anderen Städten setzte die Post die Gefährte zum Ausliefern von Briefen und Paketen ein; auch kriminelle Banden sollen die Roller laut US-Medien gern benutzt haben, um der Polizei davonzubrausen. Fans feierten den Scooter als Synonym für Freiheit und Modernität, die Gegner wehrten sich - ähnlich wie heute - mit Inbrunst dagegen.

So schrieb etwa der "New York Herald" im Oktober 1916: "Einmann-Teufelsgefährt könnte das städtische Leben mit neuem Terror überziehen." Als "hochmütigen Nachfahren des Jungs-Spielzeugs" bezeichnete das Blatt das Autoped, mit dem "Gemüt eines ungezähmten Pferds und der Arglist eines Aals".

Das neue Verkehrsmittel sei lächerlich, gefährlich und lästig, so die Kritik. Dabei wurden im Zuge der ersten Scooter-Ära in den USA nur wenige Tausend Exemplare produziert, schätzt US-Technikhistoriker Peter Norton, Professor an der University of Virginia. Dennoch habe der Unmut der nicht motorisierten Masse sich auch gegen den Motorroller gerichtet. Und Sozialneid die Wut weiter angefacht: Das mit 100 Dollar (entspricht heute rund 2350 Dollar) recht teure Gefährt konnte sich vor allem die Elite leisten.

Tumult im Hyde Park

Im Laufe des Ersten Weltkrieges schwappte der Scooter-Trend nach Europa, wo selbstbewusste Early Adopter ihn als schickes Accessoire spazieren fuhren. Menschen wie die US-Schauspielerin Shirley Kellogg, die im Januar 1917 laut der britischen Zeitschrift "Motor Cycling" für Tumult sorgte, als sie mit einem Autoped durch den Londoner Hyde Park knatterte, bis ein Polizist sie anhielt.

Auch die britische Wahlrechtsaktivistin Florence Priscilla Norman cruiste im Ersten Weltkrieg auf zwei Rädern durch Londons Straßen. Ein Foto von 1916 zeigt die Baronstochter im wallenden Mantel, kerzengerade steht sie auf dem Trittbrett ihres Motorrollers - ein Geburtstagsgeschenk ihres Mannes, des liberalen Abgeordneten Sir Henry Norman. Her mit dem Frauenwahlrecht, so die Botschaft, sonst brausen wir euch auf und davon!

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Nach Deutschland gelangte der US-Scooter erst nach Kriegsende. Stahlbaron Krupp stellte einen 1,30 Meter langen "Motorläufer" ab 1919 in Lizenz her. "Das Fahrzeug gehörte ebenso wie die Kruppschen Registrierkassen zu den Friedenserzeugnissen, auf die sich die Firma verlegt hatte, nachdem es mit dem Kanonenschmieden zunächst vorbei war", schrieb der SPIEGEL 1955 . Schwerter zu Pflugscharen, Granaten zu Scootern.

"Billig, sicher und bequem"

Als "Glied zwischen dem Motorrad und dem gewöhnlichen Fahrrad" schließe der Krupp-Roller eine wichtige Marktlücke, sei einfach zu bedienen sowie "billig, sicher und bequem", schrieb ein Redakteur der "Kruppschen Monatshefte" im August 1920.

Im Unterschied zum US-Urmodell hatte der in Essen produzierte "Motorläufer" einen klobigen Sattel und eine Pferdestärke mehr, ansonsten war das Prinzip gleich. Auch der "Motorläufer" verfügte über einen Frontantrieb, Auskuppeln und Bremsen erfolgte durch Zurücklegen der Lenkstange, man beschleunigte durch leichtes Nach-Vorn-Lehnen.

Das Foto eines - recht verkrampft wirkenden - Herren demonstrierte, wie angeblich mühelos sich das zusammenklappbare Modell in die Wohnung hieven ließ. "Im Verkehrsbild der deutschen Städte dürfte sich bald in wachsender Zahl der Kruppsche Motorroller zeigen und ein 'gewichtig Wörtlein im zukünftigen Verkehrsleben mitreden'", prophezeite die Werkszeitschrift 1920. Und lag damit komplett daneben.

Nach drei Jahren ausgerollt

Denn der Krupp-Roller floppte, trotz tadellosem Merkel-Motor. Und obwohl Unternehmenserbe Alfried Krupp von Bohlen und Halbach höchstpersönlich damit durch die Gegend brauste. Teenager Alfried stand laut Historiker Ralf Stremmel vom Krupp-Archiv sogar für einen Roller-Werbefilm vor der Kamera. Es half nichts: 1922 stellte Krupp die Produktion nach nur drei Jahren wieder ein.

Wie viele "Motorläufer" der Rüstungsriese insgesamt herstellte, konnte auch Stremmel nicht ermitteln. Dass er sich am Markt nicht durchsetzte, habe nach zeitgenössischen Erklärungen vor allem an den schlechten Straßenverhältnissen gelegen. Dazu kam die Wirtschaftskrise der Weimarer Republik.

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Auch in seinem Herkunftsland war dem Scooter-Urahn kein Erfolg beschieden - das Autoped wurde nur bis 1921 produziert. US-Historiker Norton zufolge lag das am hohen Preis und an der unbequemen Handhabung: "Sie waren zu teuer, um sie vor der Tür stehen zu lassen, und zu schwer, um sie nach drinnen zu tragen."

Zudem seien die Ur-Scooter langsam und laut gewesen, der Fahrer habe sein Gefährt zum Starten mühsam anschieben müssen, jede Bodenwelle gespürt. "Vierrädrige Fahrzeuge machten damals das Rennen um die Vorherrschaft auf der Straße", so Norton. Zumal die frühen Rollerfahrer gar nicht wussten, wo sie überhaupt fahren sollten: "Auf der Fahrbahn war es für die Autopeds zu stressig, auf dem Bürgersteig zumeist verboten" - ganz ähnlich wie anno 2019.

Und Frauenrechtlerin Florence Norman, Trägerin des britischen Ritterordens und Ikone der allerersten Scooter-Ära? Sogar die britische Suffragette stieg vom Zwei- aufs Vierrad um: Statt würdevoll auf ihrem geparkten Scooter zu posieren, engagierte sich Norman im Zweiten Weltkrieg für die Not leidende Bevölkerung - und ratterte mit einer mobilen Feldküche durch Londons Straßen.

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